Motovernissage in Nordirlands Hauptstadt: immer an der Wand lang
Ausgezeichnete Museen und Galerien haben ja viele Metropolen. Doch die Murals, die Wandmalereien und Graffities in Belfast, sind einzigartig. Sie sind Gegenwartskunst und Zeitdokumente, politische Agitation und Anklage gegen Terror und Gewalt. Unsere Taxitour im Black Cab von Billy Scott wird daher von einer Stadtrundfahrt zu einer Art Motovernissage.
Kurz vor zehn sind wir mit Billy Scott zu einer Taxitour durch Belfast verabredet. Sein Black Cab parkt gleich vor dem Tor des Dundonald Touring Caravanpark. Wir sind gestern Abend hier angekommen. Unterwegs auf dem Motorway 1 hatte es noch heftig geregnet. Doch schon wenig später empfing uns die nordirische Hauptstadt in warmer Abendsonne. Das Wetter ist unverändert schön. Ein Sonnentag liegt über der Stadt. Wir nehmen im geräumigen Fond des Wagens Platz.
Billy erzählt mit markantem Akzent über gewesene und heutige Zeiten. Über Licht- und Schattenseiten einer Stadt, die nach den „Troubles“ den Ausgleich und die Verständigung sucht. Nach Terror und Gewalt des Bürgerkrieges suchen Katholiken und Protestanten, Republikaner und Loyalisten seit dem Karfreitagsabkommen von 1998 den Weg zur Normalität. Bis heute trennen die „Peace Walls“ die katholischen und protestantischen Straßenzüge und Wohnquartiere. Die Teilung der Stadt kann nur langsam überwunden werden. „Das muss vor allem in den Köpfen und Herzen der Menschen geschehen“, sagt Billy.
Wir stoppen am Parlamentsgebäude, in dem die einst blutig zerstrittenen Parteien einander heutzutage wieder im Dialog gegenübersitzen. Wir passieren das alte Hafengelände der Harland & Wolff Werften, die einst 35.000 Arbeiter beschäftigten. Als markantestes Bauwerk der Neuzeit überragt nun das Titanic Building das Gelände. „Ein Glück, dass der Kapitän ein Brite war“, frotzelt Billy in schwärzestem Belfaster Humor. Doch in Wahrheit sitzt der Schock tief. Der berüchtigte Untergang des unsinkbaren Luxusliners beunruhigt bis heute die Gemüter. Er war der Stolz irischer Schiffsbaukunst und ist nun das Sinnbild einer unvergesslichen, menschlichen Katastrophe.
Wir besuchen die Murals im Hof des Dark Horse. Junge Künstler haben hier Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens verewigt – oder besser vergegenwärtigt. Da es Mittag geworden ist und es sommerlich warm ist, trinken wir gegenüber im Duke of York ein kühles Bier. Das Pub ist ein wahres Museum und ein historischer Ort. Hier tagte in den 20er Jahren die kommunistische Partei.
Der Nachmittag gehört den protestantischen und katholischen Wohnquartieren und ihren berühmten Graffities. In der Shankill Road demonstrieren die Loyalisten, in der Falls Road die Nationalisten ihre unverrückbaren Standpunkte. In den loyalistisch gesinnten Quartieren etwa sind die britischen Fahnen allgegenwärtig. Eine politische Manifestation, die sich bis in die rot-weiß-blaue Bepflanzung der Vorgärten fortsetzt. Und auch die Murals polemisieren hier wie dort und dokumentieren in drastischen Farben das Schwarz-Weiß-Denken der getrennten Parteien. Die Mauern hier sind nicht nur aus Stein.
Wir nehmen den Bus zurück zum Dundonald Touring Caravanpark, einem gepflegten Campingplatz am Rande der Stadt. Von unserer Reservierung wusste hier niemand, als wir gestern Abend ankamen. Aber das macht nichts. Es gibt Platz genug, für immerhin 23 Pfund die Nacht, wenngleich mit Strom und Wasser am Stellplatz und hinter einem sorgfältig verschlossenen Tor. Die nahegelegene Straße ist etwas laut. Internet gibt es nicht. Und da der Router an Bord den Dienst versagt, werden wir sehen müssen, ob und wie wir die Texte und Bilder rüberbekommen.
Tipp: Am 31. März 2012 wurde anlässlich der Hundertjahrfeier ihrer Jungfernfahrt das Titanic Museum in Belfast eröffnet. Das topmoderne Museum ist die weltweit größte Titanic-Attraktion, mit Fahrgeschäften, Nachbauten in Originalgröße, interaktiven Displays und vielem mehr. Hier erlebt man die Geschichte der Titanic vom vielversprechenden Anfang bis zu ihrem dramatischen Ende hautnah mit.
Gastro-Tipp: Der St. George’s City Food und Garden Market in Belfast wurde von der Food-Beilage des “Observer” zum drittbesten Markt im Vereinigten Königreich gewählt. Hier treffen sich die Leckermäuler – freitags und samstags morgens. [Quelle: Irland Information ]
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